In unserem Info-Flyer vom Oktober 2010 gab’s ein paar Gedanken zu LGBTI-Politik und der Gefahr von emanzipatorischer Kirchturmspolitik.

In unserem Info-Flyer vom Oktober 2010 gab’s ein paar Gedanken zu LGBTI-Politik und der Gefahr von emanzipatorischer Kirchturmspolitik: 

LGBTI*-Politik?
Ist ein Verein wie die habs noch zeitgemäss? Ist Facebook schneller, Gayromeo direkter? Wozu noch Politik? Oder: Was könnte heute ein Bezugspunkt für Emanzipation sein? Können wir nicht längst unsere eigenen Life-Styles pflegen, und gesellschaftlich anerkannte Nischen besetzen, vom Gay-Travelling bis zu Europrides? Licht am Ende dieses historischen Tunnels, aus dem die LGBT-Bewegung den Weg wies? Ich denke, wir müssen heute aufpassen, keine Pfade auszutreten, die unversehens zur Sackgasse werden können. Dort, wo der Einsatz von LGBTI-Bewegungen bei einer Politik aufhört, die „nur” auf die sexuelle Identität zielt, greift er zu kurz: denn es geht nicht primär darum, Raum für z.B. schwulesbische Kultur zu erstreiten. Sollten wir gar aufhören, von „schwuler Identität“ zu sprechen? Oder von „Gay-Culture“, die selbst Gefahr läuft, für (homonormative) Community-Zwänge blind zu sein? Zu schnell wird die Diskussion zu absolut, zu eingeschränkt und die Bewegung zu Kirchturms-Emanzipation! Unsere Bezugnahme auf unsere Geschlechtsidentität sollte nicht mehr sein, als ein Teil-Aspekt unseres Selbst. Erst wenn wir wieder den Kern unseres Anliegens artikulieren – einen politischen, keinen kulturellen –, kommen wir weiter: das Recht auf Selbstbestimmung  – im Rahmen eines neu auszutarierenden gemeinschaftlichen Miteinanders. Sowie das Recht auf gesellschaftliche Umstände, in denen ein Kampf um jene Selbstbestimmung schlicht nicht erforderlich ist. Erst über diesen Kern können wir ins Gespräch kommen, mit all jenen Gruppen, die Emanzipation – und sei es ihrerseits Kirchturms-Emanzipation – auf ihre Fahnen schreiben. Erst dann wird „Schwulenpolitik“ an andere Befreiungsbewegungen anschlussfähig, ohne in Selbstbezug zu verharren: Das zeigten 2010 Gespräche zu LGBT-Themen mit kurdisch-palästinensischen Demonstranten während einer Basler Demo gegen israelische Militärinterventionen. Oder das Gespräch mit der Managerin des Homohass-Sängers Capleton, der miteinmal ein gemeinsames historisches Anliegen von Sklavenbefreiung und Schwulenbewegung klar wurde. Erst dann können wir (neue) Allianzen bilden. Und z.B. gemeinsam mit feministischer Kulturkritik die patriarchalen Grundzüge der Gesellschaft aufdecken. Zugleich wird damit ein Ziel für uns verpflichtend: nämlich dazu beizutragen, solche gesellschaftliche Umstände zu verwirklichen, die ein Leben in Freiheit ermöglichen. Und das ist unbequem. Wir werden daran erinnert, dass zu viel in dieser Welt nicht gut und gerecht läuft; und dass wir letztlich auch zu grossen Nutzniessern dieser Ungerechtigkeiten zählen. Aber mit einmal lesen wir die Welt auch wieder als eine, die politisch ist, die gestaltbar ist: Wir verweisen z.B. im HIV/Aids-Diskurs nicht mehr auf die ausschliessliche Eigenverantwortlichkeit von Barebackern oder gescheitertem Risikomanagement. Sondern wir fragen: welche Gründe sind es, die Männer, die mit Männern Sex haben, dazu führen, der ihnen zugesprochenen Eigenverantwortung nicht immer Rechnung tragen zu können? Woher kommt Sexsucht? Woher Risikolust? Welche Anerkennung wird gesucht? Sind Begehren vielleicht Kompensationen abhandengekommenen Sinns? Auch hierfür kann ein Verein wie die habs Raum bieten: für Diskussionen in einem geschützten Raum, zu Gesundheit, in Gesprächen jenseits des Virtuellen, zu Begegnungen und zum Finden von sich selbst. Interesse an unserer Arbeit? Lust aktiv zu werden? Fragt einfach bei uns nach!

Axel Schubert, Sprecher habs

* Lesben, Gays, Bi’s, Trans*, Intersexuelle