Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel (habs) rügen in einem offenen Schreiben die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts
Mit seinem Entscheid zur Wegweisung eines schwulen Iraners stellt das Berner Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Illegalität von Homosexualität keine systematische Diskriminierung darstellt. Die habs fordert in einem offenen Brief Bundesrätin Sommaruga auf, die Wegweisung zu stoppen und die Widererwägung des Urteils zu prüfen.
Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel (habs) rügen in einem offenen Schreiben an Bundesrätin Sommaruga sowie an das Bundesamt für Migration und das Bundesverwaltungsgericht dessen Urteilsbegründung als in sich nicht logisch und selbstwidersprüchlich. „Es ist hanebüchen, die staatliche Illegalität von Homosexualität und mögliche Todesstrafe nicht als systematische Diskriminierung anzusehen. Da hat das Bundesverwaltungsgericht Nachhilfe in Sachen Diskriminierung nötig,“ so Axel Schubert, Sprecher der habs, „denn wo der Rechtsweg per Gesetz nicht nur ausgeschlossen bleibt sondern selbst eine Gefahr darstellt, besteht auch keinerlei effektiver Schutz vor Diskriminierung.“ (…)
Zur kompletten Medienmitteilung vom 16.02.2011 (siehe hier)
Direktlink zum Offenen Brief an Bundesrätin Sommaruga, Bundesverwaltungsgericht und Bundesamt für Migration (siehe hier)
Zur anonymisierten Fassung des Urteils auf den Seiten des Bundesverwaltungsgerichts, Direktlink auf pdf:
https://www.bvger.ch/publiws/download?decisionId=277461fb-c770-4f5b-9fcc-467f6344390d
Der Fall wurde 2011 juristisch gewürdigt in: Seraina Nufer / Maximilian Lipp, Zulässigkeit der Wegweisung eines homosexuellen Iraners, in: Jusletter 30. Mai 2011. Nufer/ Lipp kommen zum Schluss: „Es wäre wünschenswert, dass die Schweizer Behörden ihre überholte Praxis bezüglich Homosexualität, insbesondere die Forderung, diese versteckt zu leben, überdenken. Aus ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aufgrund der EMRK und der GFK heraus sollten sie sich der überzeugenden Argumentation des UK Supreme Courts im Urteil vom 7. Juli 2010 anschliessen und die Unzulässigkeit der Wegweisung feststellen, wenn eine homosexuelle Person bei Rückkehr in den Heimatstaat aus Furcht vor Verfolgung ihre sexuelle Orientierung im Verborgenen leben müsste. Ein kanadisches Urteil von 2007 bringt dies einleuchtend auf den Punkt: «A hidden right is not a right.» „
(das Dokument als pdf dürfen wir auf Rücksprache mit dem Herausgeber, der Weblaw AG, leider nicht zur Verfügung stellen. Per Suchmaschine im Netz suchen hilft…)
Bereits 2010 gelangte z.B. auch der oberste britische Gerichtshof zum Schluss, dass ein bzgl. der sexuellen Orientierung versteckt zu lebendes Leben sich nicht mit den Grundrechten in Übereinstimmung bringen lässt: der britische Richter Lord Hope begründete das mit Verweis auf die Grundrechte wie folgt: „Man verweigert einem Homosexuellen sein Grundrecht darauf, der zu sein, der er ist, wenn man ihn dazu nötigt, vorzugeben, seine Sexualität existiere nicht oder sie zu unterdrücken.“ Damit brach Grossbritannien 2010 mit seiner bis dahin noch gegenteiligen Auffassung.
Weitere Quellen: We Are a Buried Generation, Discrimination and Violence Against Sexual Minorities in Iran, Dezember 2010 (Direktlink zum pdf auf den Seiten von Human Rights Watch).
Ergänzung Juni 2012:
Bundesrätin Sommaruga schreibt der habs:
Bei Bundesrätin Sommaruga nachgehakt: Vor der Pride in Zürich 2012 sind wir am 4.6.2012 erneut auf Bundesrätin Sommaruga zugegangen, die in Zürich zum Thema Menschenrechte sprechen wird. Konkret erhoffen wir uns von ihr eine Antwort auf die Frage, ob Sie resp. Ihre Behörde (das Bundesamt für Migration) der Auffassung ist, es wäre mit den Menschenrechten vereinbar, die eigene sexuelle Orientung dauerhaft verstecken zu müssen, um der Gefahr von Verfolgung, Hass und ggf. Exekution zu entgehen.
Auf unsere Nachfrage erhielten wir eine Antwort von Bundesrätin Sommaruga.
Hier ihr Schreiben mit einem hoffnungsvoll stimmenden Schlussabsatz online (eine allfällige Veröffentlichung kündigten wir in unserer Anfrage an) (siehe hier)
Sommaruga schreibt u.a.: „Das BFM ist bei der Gesuchsprüfung von LGBTi in letzter Zeit dazu übergegangen, deren Recht auf Selbstbestimmung stärker zu gewichten und die frühere Praxis insoweit anzupassen, als es von einer Person in aller Regel nicht mehr verlangt, sich im Heimatstaat in einer bestimmten Weise zu verhalten, um sich einer Verfolgung zu entziehen. Die Behörden legen Wert darauf, bei der Behandlung der Asylgesuche dieser Personen den menschenrechtlichen Aspekten Rechnung zu tragen. Die entsprechenden Arbeiten sind Teil einer dynamischen Praxisentwicklung und noch nicht abgeschlossen.“
Es gilt, die Praxis weiter zu beobachten! Wir sind hoffnungsfroh.
Axel Schubert