Schwulen- und lesbenfeindlich?

Die aus dem christlichen Lager stammende CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» klingt zwar vordergründig harmlos und scheint nur Steuerbelange neu zu regeln. Der Initiativtext verfolgt aber noch ein ganz anderes Ziel: Die Ehedefinition wird bei Annahme der Initiative auf Ebene der Bundesverfassung geändert und die Ehe neu als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» festgelegt. Die Rechte von schwulen und lesbischen Paaren werden dadurch nachhaltig eingeschränkt und ihre gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften gegenüber anderen Lebensformen bei Steuern und Sozialversicherungen benachteiligt. Darüber, ob diese heteronormative Ehedefinition bewusst oder ungewollt so ausgrenzend gewählt wurde, ist schon viel spekuliert und diskutiert worden. Wir von der habs sind trotz der Beteuerungen von CVP-Vertretern mehr als skeptisch. 

In den letzten Monaten war nämlich eine zunehmend konservative und homophobe ideologische Neu-Positionierung der Kirche zu beobachten. Im Fall des Churer Bischofs Vitus Huonder lässt sich gar von einer „heiligen Hetze gegen Homosexuelle“ sprechen. Nach seinem mehr als umstrittenen «Wort zum Tag der Menschenrechte» vom 10. Dezember 2013 forderte er im Januar 2014 gar, dass Schwulen und Lesben die Kommunion verweigert werden soll. Wer in einer «irregulären Situation» lebe, könne gemäss bestehender Kirchenlehre die Kommunion nicht empfangen. Betroffene sollen gemäss Vorschlag des Bistums Chur beim Kommuniongang ebenfalls vor den Priester treten. Sie sollen dabei aber die Arme verschränken und damit signalisieren, dass sie aus bestimmten Gründen keine Kommunion empfangen können. Darauf würden sie vom Priester gesegnet. Die Kirche solle diese Praxis weltweit offiziell erklären, findet das Bistum Chur. Die Praxis habe sich in vielen Ländern und am Weltjugendtag bereits bewährt. Der demütigende und anmassende Vorschlag sorgte für einigen Medienwirbel.

Ist Vitus Huonder ein extremistischer Einzelfall? Leider nein! In seinen Aussagen beruft sich der weiterhin amtierende Bischof ausdrücklich auf die Meinung der katholischen Kirche als Institution, auf die Gesinnung des Kardinalskollegiums, auf die Kurie und sogar den Papst. Nur schon die Tatsache, dass Vitus Huonder auch nach Verlautbarung seiner Extrempositionen im Bischofsamt verbleibt, lässt Dunkles erahnen. Man stelle sich vor, ein Politiker hätte ein ähnliches Statement veröffentlicht wie Huonders Forderung, Homosexuellen die Kommunion zu verweigern oder das kürzlich von ihm publizierte «Wort zum Tag der Menschenrechte». Wie darin ebenfalls mit Berufung auf seine Parteispitze und den obersten Vorgesetzten – nur anstatt gegen Lesben und Schwule gerichtet gegen Schwarze, Behinderte oder Juden: Zu Recht wäre er öffentlich verurteilt worden, hätte sein Amt verloren und zurücktreten müssen, seine Partei hätte sich öffentlich von seinen Aussagen distanziert und sich offiziell entschuldigt.

Was aber ist im Fall Vitus Huonder passiert? Hat sich die (katholische) Kirche offiziell von seinen Aussagen distanziert? Sich öffentlich entschuldigt? Musste Vitus Huonder als Bischof zurücktreten? Nein, nichts davon ist eingetreten. Das allein lässt tief blicken.

Die ideologische Neu-Positionierung der Kirche, so scheint es, kommt nicht zufällig zum jetzigen Zeitpunkt. In der nächsten Zeit stehen nämlich in der Schweiz wichtige politische Entscheidungen an und offenbar will sich die katholische Kirche in diesem Zusammenhang zurück in die politische Bedeutsamkeit manövrieren, ihre frühere Macht zurückgewinnen und weltliche Belange und Entscheidungen beeinflussen. Die CVP-Initiative ist dabei nur ein erster Vorstoss in diese Richtung. Weitere Schritte sind geplant, unter anderem soll das Adoptionsrecht in der Schweiz endgültig zu Ungunsten von homosexuellen Paaren ausgelegt werden. Während sich nämlich innerhalb Europas wie auch weltweit eine zunehmende Gleichberechtigung homosexueller Einzelpersonen und Paare durchsetzt, ist die Schweiz weiterhin sehr restriktiv. Diese konservative Praxis will die Kirche weiter zementieren und ausbauen.

Die aktuelle weltweite Situation sieht folgendermassen aus: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied im Januar 2008, dass «homosexuellen Personen der Zugang zur Adoption nicht aufgrund ihrer Homosexualität verwehrt werden darf». Das Urteil besagt, dass alle Gesetze und Regelungen in den Mitgliedsstaaten des Europarates, die die Genehmigung einer Adoption aufgrund der homosexuellen Orientierung der Adoptionswilligen ablehnen, gegen den Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen. Entsprechend hat bereits die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten ein Abkommen ratifiziert, das auch gleichgeschlechtlichen Paaren in einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Lebenspartnerschaft  sowohl die Stiefkindadoption wie auch eine gemeinsame Adoption fremder Kinder erlaubt.

Die Schweiz hingegen verbietet gesetzlich die Adoption fremder Kinder durch gleichgeschlechtliche Paare in einer eingetragenen Partnerschaft. Bis Ende 2012 schloss das Verbot auch die Adoption von Stiefkindern mit ein.

Auch fortpflanzungsmedizinische Verfahren sind in der Schweiz für Paare in eingetragenen Partnerschaften im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren verboten. Sogar die Möglichkeit einer Schwangerschaft durch Samenspende ist einem lesbischen Pärchen in der Schweiz untersagt.

In Europa hingegen erlauben  die meisten Länder, u.a. Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, die Niederlande, Norwegen, Schweden, das Vereinigte Königreich und Spanien lesbischen Paaren den Zugang zu Samenbanken und zur Inseminationsmedizin.

In den Vereinigten Staaten (USA) ist die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare in vielen Bundesstaaten erlaubt, u.a. in Alaska, Colorado, Connecticut, Kalifornien, Illinois, Maryland, Massachusetts, Michigan, Minnesota, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, Ohio, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, Tennessee, Vermont, Washington, Wisconsin, Washington D.C.

Auch Argentinien, Brasilien, Uruguay, Australien, Neuseeland, Südafrika und Israel sind fortschrittlicher und erlauben schon heute homosexuellen Paaren eine Adoption.

Der konservativen katholischen Kirche missfällt diese Entwicklung hin zu einer gleichberechtigten, offenen Gesellschaft zutiefst. Ganz explizit werden die Gläubigen deshalb aufgerufen «bei allen anstehenden Volksentscheidungen zu Ehe, Familie, Sexualerziehung, Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare oder Krankenkassenfinanzierung als Katholiken kohärent zu sein und gemäss der Lehre der katholischen Kirche abzustimmen». Dass liess unlängst Guiseppe Gracia, der Sprecher des Churer Bischofs Vitus Huonder verlauten.

Als konkrete Anwendungsfälle nannte er dabei namentlich etwa die Volksinitiative, welche es den Krankenkassen verbieten will, Abtreibungen aus der Grundversicherung zu zahlen oder die CVP-Familieninitiative, mit der die Ehe als Partnerschaft zwischen Mann und Frau auf Verfassungsstufe definiert werden soll.


Ist die CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» lesben- und schwulenfeindlich? Wurde die im Initiativtext enthaltene Ehedefinition bewusst ausgrenzend gewählt? Wir von der habs denken ja. Zusammen mit anderen LGBT-Organisationen engagieren wir uns dagegen!